Singen gegen Schmerzen?

Singendes Krankenhaus: Im Chor gegen Schmerzen

Singen macht gute Laune, aber nicht nur das: Es ist auch richtig gesund! Lieder können heilsame Wirkung haben, denn Singen vertieft die Atmung, hilft Stress abzubauen und setzt einen wahren Glückscocktail im Gehirn frei. Diese Effekte werden jetzt auch in der Therapie von Schmerzpatienten genutzt - in der Paracelsus-Klinik in München, dem ersten "Singenden Krankenhaus" in Bayern.

Schmerzpatienten sind geplagte Menschen. Viele von ihnen haben ein Leben lang alles Mögliche unternommen - sind von Arzt zu Arzt gelaufen - um Linderung für ihre Schmerzen zu erfahren, denn ein psychisches Trauma oder die Folgen eines Unfalls sind nicht einfach wegzutherapieren. In deutschen Krankenhäusern wurde jetzt die lindernde, in vielen Fällen sogar heilende Wirkung des gemeinsamen Singens entdeckt.

Singen soll nicht nur glücklich machen, es soll sogar chronische Schmerzen besiegen, behauptet der Musiktherapeut Wolfgang Bossinger bei einem Besuch in der Münchner Paracelsus Klinik. Die Paracelsus Klinik gehört zu den ersten Krankenhäusern in Deutschland, in denen Schmerzpatienten durch Singen lernen können, ihre Selbstheilungskräfte selbst zu aktivieren. Wolfgang Bossinger ist der Gründer des Klinik-Netzwerks "Singender Krankenhäuser" in Deutschland. Bundesweit haben sich neben der Paracelsus Klinik in München inzwischen rund 50 Kliniken seiner Initiative angeschlossen.

Ziele der Singangebote sind:

  • "Stress- und Angstabbau,
  • Stärkung des Selbstwertgefühls und Zugang zu verschütteten Ressourcen,
  • Verringerung von Krankheitssymptomen und psychischer Belastung,
  • Förderung emotionaler Expressivität und emotionaler Verarbeitung von Erkrankungen und ihrer lebensrelevanten Folgen,
  • antidepressive Wirkung gemeinsamen Singens,
  • Förderung von Gemeinschaftsgefühl, Verbundenheit und Zugehörigkeit,
  • Förderung und Stärkung sozialer Beziehungen und Kontakte."
     
    Quelle: Canto Initiative, Singende Krankenhäuser

Gemeinsam mit der Sozialpädagogin Annemarie Denk motiviert Wolfgang Bossinger eine Gruppe von Schmerzpatienten im Aufenthaltsraum der Klinik, sich den positiven Effekten von Klängen und Tönen beim Singen hinzugeben. Die Patienten sollen am eigenen Körper erfahren, dass sie ihren Schmerzen nicht hilflos ausgeliefert sind.

Zitate Katja Gast, langjährige Schmerzpatientin:
"Das Singen geht durch den ganzen Körper; das Tönen der verschiedenen Laute A, O, Omh wirkt an verschiedenen Stellen und löst, lockert und wärmt."

Ernst Reischl, Unfallopfer, mehrere Operationen:
"Das Zusammengehörigkeitsgefühl mit den anderen Patienten beim Singen ist großartig. Es verändert meine Wahrnehmung von Schmerzzuständen und setzt Gefühle frei, die mir lange Zeit gar nicht mehr zugänglich waren. Der Schmerz, der sonst immer der ständige Begleiter ist, nehme ich dann nicht mehr wahr."

Singen - Wirkung auf den Körper

Singen sollte vorbeugend praktiziert werden, meint Wolfgang Bossinger, auch wenn die positive Wirkung oft unterschätzt worden ist. Wolfgang Bossinger: "Wir haben eine erhöhte Produktion von Immunglobulin A, einem Antikörper, der Krankheitserreger in den Schleimbeuteln bekämpft. Singen schützt also auch vor Infektionen; das Herzkreislaufsystem wird gestärkt."

Viele Patienten erleben zum ersten Mal während der Stimmübungen wieder Momente, in denen sie schmerzfrei sind. Aber Singen hat noch weitere positive Effekte, betont Annemarie Denk, Sozialpädagogin: "Der Blutdruck geht runter. Der Puls wird langsamer. Die Atmung wird ruhiger und langsamer. Auch die Verdauung wird angeregt."

In Forschungsprojekten wird Einfluss und Auswirkung des Singens auf die Synchronisation von Herzfrequenz, Blutdruck und Atemrhythmus untersucht. Es wird vermutet, dass durch Singen heilsame Entwicklungen in Gang gesetzt werden, die die Synchronisation wichtiger Körperrhythmen anregen und fördern.

Singen - Wirkung auf die Psyche

Bei vielen Patienten steigert das Singen den Lebensmut. "Es entsteht eine bessere Stimmung unter den Patienten", berichten Klinikärzte und Therapeuten: "Singen fördert zwischenmenschliche Kontakte und Begegnungen. Es schafft mehr Fröhlichkeit und scheint Glücksgefühle freizusetzen."

Manche Patienten singen die Lieder solange, bis sie den Schmerz vergessen. Im Kurs mit Wolfgang Bossinger und Annemarie Denk haben sie gelernt, mit Hilfe des Singens ihre Erkrankungen emotional besser zu verarbeiten. Während des Singens wird die Aufmerksamkeit auf das Innere des Menschen gelenkt und wirkt auf die Seele.

Aber um chronische Schmerzen aufzulösen, braucht es Spezialisten. Singen kann eine ergänzende Methode sein - neben alternativmedizinischen Verfahren, autogenem Training, Entspannungsübungen und einer klassischen Schmerztherapie durch Medikamente.

Dr. Karim Merzoug ist Schmerztherapeut in der Münchner Paracelsus Klinik. In besonders schweren Fällen verordnet er auch mal Opiate oder morphinhaltige Medikamente. Er unterstützt Manfred Bossingers Idee, die Patienten im Krankenhaus wieder zum Singen anzuleiten:

Dr. Karim Merzoug, Schmerztherapeut, Münchner Paracelsus Klinik: "Das Zentrale Nervensystem darf nicht mehr mit Schmerz beschäftigt werden. Dafür ist das Singen eine gute Sache. Die Patienten können den Schmerz ganz loslassen. Je öfter das passiert, desto mehr kann man das Schmerzgedächtnis zurückdrängen."

Für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt hoffen die Therapeuten bei den Patienten einprägsame Anregungen hinterlassen zu haben, wie sie sich durch Singen immer wieder selbst helfen können, ihr inneres, seelische Gleichgewicht zu finden und auch schwere Gefühlseinbrüche selbstständig zu bewältigen. Unterstützend gibt es deshalb für Interessierte Liederbücher und Musik-CDs mit Anleitungen, damit das Singen zu einem wichtigen Bestandteil im Alltag werden kann.

Kontakt

Initiative Klinik-Netzwerk "Singende Krankenhäuser" Manfred Bossinger www.singende-krankenhaeuser.de

Geschäftsstelle:

Elisabeth Ortner, Bahnhofstraße 35, 86944 Unterdießen, Tel: 08243 / 99 35 97
E-mail:
elisabeth.ortner@singende-krankenhaeuser.de