Jungbleiben durch Singen

Singend jung bleiben

(von Anne-Bärbel Köhle aus Senioren Ratgeber April 2011)

 

Gesangstraining – Singen, schmettern, rhythmisch klatschen: Das hält nicht nur die Stimmbänder frisch, sondern den ganzen Körper dazu.

 

Erst mal Stühle aufstellen. Singen ist schließlich harte Körperarbeit, und da tut es ganz gut, wenn man sich zwischendurch sitzend erholen kann. Immerhin ist das jüngste Mitglied im Hamburger Chor 65 schon 70 Jahre alt. Die älteste Sängerin feierte kürzlich ihren 90. Geburtstag. Während die drei Frauen im hellen Raum der Walddörfer Wohnungsbaugenossenschaft in Hamburg-Volksdorf Tisch bei Seite rücken und Sitzgelegenheiten aufstellen, füllt sich das Zimmer. Rund 20 Sängerinnen und Sänger treffen sich hier alle zwei Wochen donnerstags, um zu üben – für Auftritte in Schulen und Altersheimen, bei Sommerfesten und Adventfeiern.

Seit drei Jahren schult die staatlich geprüfte Stimmlehrerin Monika Röttger die Senioren. Mit hörbaren Erfolg: „Die Stimmqualität hat sich bei allen verbessert. Manche können eine Terz, also drei Töne, höher singen als früher.“

Eine ungewöhnliche Entwicklung, denn so wie mit fortschreitenden Jahren der ganze Organismus altert, verliert auch die Stimme allmählich an jugendlicher Kraft, wird brüchiger, weniger beweglich. Die Tonhöhe sinkt. Dass ein Mensch altert, hört man dann irgendwann auch an seiner Stimme.

 

Der Körper als Instrument.

„Weil Muskeln und Gewebe im ganzen Körper an Elastizität und Spannkraft verlieren, verschlechtert sich auch der Allgemeinzustand der Stimme“, erklärt Elisabeth Bengtson-Opitz, Professorin für Gesang und Gesangsmethodik an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater. Seit den späten 1990er-Jahren beschäftigt sich die Expertin mit dem Thema „alternde Stimme“. Ein komplexes Sachgebiet, denn: „Das vielleicht größte Problem dabei ist, dass es kein Stimmorgan gibt wie zum Beispiel unser Sehorgan, das Auge.“ Wir produzieren unseren persönlichen Klang mit einem Zusammenspiel verschiedener Körperorgane. Es häng mit den Stimmbändern zusammen, aber auch mit der Bauch- und Rückenmuskulatur und mit der Atmung. Wer noch als alter Mensch kraftvoll klingen will, muss also mehr üben als nur ein paar Töne.

 

Erst mal ein bisschen „Turnen“

Die Sänger des Chor 65 haben sich locker aufgestellt, die Arme hängen entspannt, die Füße stehen leicht ausgestellt auseinander. Chorleiterin Röttger schlägt eine Zimbel an. Während der helle Glockenton verkling, fordert sie die Gruppe auf: „Tief in den Bauch atmen, die Luft langsam entweichen lassen.“ Anschließend geht es darum, den Körper zu spüren und zu lockern. Becken kreisen, Arme und Beine abklopfen, Hüften und Arme schwingen: Zunächst wirkt die Gesangsstunde wie eine abgeschwächte Aerobic-Stunde im Fitness-Studio. Und trotzdem stählen die Senioren gerade bewusst ihre Stimme.

 

Länger jung klingen

„Gezieltes Muskeltraining hält die Stimme bis ins hohe Alter jung“, erklärt Expertin Bengtson-Opitz. Zusammen mit ihrer Tochter Sophie, einer Sportwissenschaftlerin, hat sie ein Programm entwickelt, „Anti-Aging für die Stimme“, das Körper, Stimm- und Atemübungen kombiniert. Ihr Credo: „Ebenso wenig, wie man auf einer Geige mit schlecht gepflegtem Holz und zerrissenen Saiten schöne Klänge erzeugen kann, wird ein Sänger in schlechter körperlicher Verfassung, mit mangelnder Fitness und wenig Körperwahrnehmung schöne Töne produzieren.“

 

Stampfen, klatschen, singen

Die Senioren des Chor 65 stimmen inzwischen den ersten Song an: einen Stampf-Kanon, bei dem die Sänger rhythmisch klatschen und stampfen und dazu Reime intonieren. „Atmen Sie bis in die Fußgelenke“, feuert die Chorleiterin ihre Sänger und Sängerinnen an. Singen hat nämlich mit dem ganzen Körper zu tun, mit Spannung und Entspannung. Zum Training für eine jugendliche Stimme gehören deshalb auch Lockerungsübungen, die für den Laien zunächst ein wenig bizarr wirken. „Zunge rausstrecken, Kiefer hängen lassen. Schön blöd gucken und fühlen, wo der Ton sitzt“, nennt das die Gesangslehrerin Röttger. Konsonanten seufzen und dabei in den Knien federn, die Ohrränder kneten und dabei Vokale trällern: „Füllen Sie den Körper mit Tönen an“ fordert sie ihre Sänger auf.

 

„Ein neuronales Gewitter“

„Man kann den Prozess des Alterns einer Stimme nicht aufhalten, aber man kann ihn verlangsamen“, sagt Stimmlehrerin Röttger. Manchmal lässt sich die Uhr auch ein wenig zurückdrehen. „Wir waren anfangs kein Nachtigallen-Chor“, so die Chorleiterin, „aber vieles klingt heute viel besser.“ Fünfstimmig intonieren die Senioren, die meisten ohne frühere Chorerfahrung, den komplizierten Kanon „Under the full moon light“. Uter dem Licht dem Vollmonds nicht den Überblick verlieren, den schwierigen Rhythmus einhalten und dazu noch koordiniert Arme und Beine bewegen: „Es ist ein neuronales Gewitter, was sich da gerade im Hirn abspielt“, sagt Röttger.

 

Schmettern für ein gutes Gedächtnis

Gezielte Übungen halten nicht nur die Stimme deutlich länger jung. Singen steigert die Abwehrkräfte. Das zeigte eine Studie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt a.M. Die Forscher untersuchten Speichelproben der Mitglieder eines Kirchenchores. Nach der Chorprobe war die Anzahl der Immunglobuline A, die in den Schleimhäuten sitzen und Krankheitserreger bekämpfen, stark gestiegen. Schmettern stärkt das Herz-Kreislauf-System, zeigten andere wissenschaftliche Studien. Und schult das Gedächtnis. Die singenden Hamburger Senioren kennen ihre Lieder samt und sonders auswendig. Die rhythmischen Bewegungen zu den Texten sorgen dafür, dass ich die linke und rechte Gehirnhälfte besser vernetzen. „Sänger bleiben einfach länger fit, auch im Kopf“ ist Röttger überzeugt.

Eineinhalb Stunden dauert die Probe des Chor 65. Gesessen hat dabei übrigens keiner.